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Barbara Reisen e.K.

Agentur

Das Künstliche Hüftgelenk – Interview mit Prof. Dr. Hans Gollwitzer


06. Mai 2015, 15:54
PRESSEMITTEILUNG/PRESS RELEASE

Prof. Dr. Hans Gollwitzer ist Leitender Arzt für Hüftchirurgie und Knieendoprothetik an der ATOS Klinik München und als Professor an der Technischen Universität München.

Das Künstliche Hüftgelenk – Interview mit Prof. Dr. Hans Gollwitzer

Barbara Reisen: „Herr Professor Gollwitzer, jährlich werden in deutschen Operationssälen ca. 200.000 künstliche Hüftgelenke eingesetzt. Wann ist eine Endoprothese für den Patienten unvermeidbar?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Ein künstliches Hüftgelenk wird meist aufgrund einer fortgeschrittenen Arthrose notwendig. Bei älteren Patienten kann der Gelenkersatz auch bei einem Oberschenkelhalsbruch erforderlich sein. Empfohlen wird ein künstliches Hüftgelenk in der Regel, wenn die Schmerzen mittels nicht operativer Behandlung nicht ausreichend gelindert werden können. Eine Operation ist ebenfalls häufig indiziert, wenn eine dauerhafte Schmerzmitteleinnahme notwendig wird. Denn die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln kann mittelfristig zu Organschäden führen.“

Barbara Reisen: „Sollte man sich denn dann möglichst schnell für eine Operation entscheiden oder diese doch lieber so lange wie möglich heraus zögern?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Künstliche Hüftgelenke haben eine begrenzte Haltbarkeit. Daher sollte das natürliche Gelenk so lange wie möglich erhalten werden. Eine frühere Operation ist dann sinnvoll, wenn die Arthrose zu einer Knochenschädigung führt, welche eine spätere Implantatverankerung erschwert, oder wenn die Hüftbeweglichkeit so eingeschränkt ist, dass angrenzende Gelenke wie Knie und Wirbelsäule ebenfalls geschädigt werden. Sind die Beschwerden mittels konservativer Therapie nicht in Griff zu bringen, so macht es ebenfalls wenig Sinn lange abzuwarten.“

Barbara Reisen: „Wie wird ein Implantat für ein künstliches Hüftgelenk im Körper befestigt?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Bei der klassischen Hüftendoprothese wird eine künstliche Pfanne in das Becken eingesetzt sowie ein Stiel in den Oberschenkelknochen eingebracht. Die Pfanne wird in den meisten Fällen zementfrei eingebracht, und entweder stabil verklemmt (sog. press-fit Verankerung) oder eingeschraubt. Der Stiel wird in Anhängigkeit von der Knochenqualität entweder ebenfalls verklemmt oder mit Knochenzement (Polymethylmethacrylat) ‚eingeklebt‘. Eine Einzementierung der Pfanne ist bei schlechter Knochenqualität ebenfalls möglich.“

Barbara Reisen: „Und welche dieser Verarbeitungsformen ist für den Patienten verträglicher?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Die aktuellen Studien zeigen keinen wesentlichen Unterschied in der Haltbarkeit von zementfreien und zementierten Hüftstielen. Generell ist die Lockerungsrate bei sehr jungen Patienten aufgrund der höheren Belastung etwas größer, bei älteren Patienten ist die Haltbarkeit zementierter Stiele besser.“

Barbara Reisen: „Aus welchem Material kann eine Endoprothese überhaupt hergestellt werden?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Die modernen Hüftpfannen und Stiele werden in der Regel aus einer Titanlegierung hergestellt, da diese eine hohe Verträglichkeit im Knochen bewiesen hat. Bei den sogenannten Gleitpartnern, also dem auf den Stiel aufgesetzten Prothesenkopf und dem Pfanneneinsatz gibt es zahlreiche Varianten. Man unterscheidet dabei die folgenden Materialkombinationen (Prothesenkopf – Pfanneneinsatz): sogenannte Hart-Hart-Paarungen (Keramik-Keramik oder Metall-Metall) und Hart-Weich-Paarungen (Keramik-Polyethylen oder Metall-Polyethylen).“

Barbara Reisen: „Was viele unserer Leser an dieser Stelle natürlich besonders interessieren würde: Gibt es Unterschiede in der Verträglichkeit für den Patienten?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „In der Tat. Die Kombinationen unterscheiden sich zum einen in der Verschleißfestigkeit, und zum anderen in der Verträglichkeit der Abriebpartikel. So zeigen Metall-Metall-Kombinationen zwar nur ein geringes Volumen an Abrieb, jedoch entstehen besonders viele sehr kleine Partikel die biologisch eine hohe Oberfläche und Aktivität besitzen und daher zu ausgeprägten Unverträglichkeitsreaktionen führen können. Dieses Phänomen war zuletzt in den Medien aufgrund hoher Versagensraten von sogenannten Kappenprothese präsent.
Die günstigsten Abriebeigenschaften zeigt die Kombination aus Keramik-Keramik, allerdings mit dem Nachteil eines minimal erhöhten Bruchrisikos, insbesondere des Pfanneneinsatzes. In Deutschland wird daher zuallermeist ein Pfanneneinsatz aus Polyethylen und eine Prothesenkopf aus Keramik eingesetzt.“

Barbara Reisen: „In den letzten Jahren hört man bei Hüftoperationen immer häufiger den Begriff ‚Minimal-Invasiver‘-Eingriff. Was genau versteht man darunter?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Eine echte Definition für „minimal-invasiv“ existiert leider nicht, häufig wird jedoch eine Schnittlänge unter 10cm als Voraussetzung beschrieben. Dabei gibt es bei den verschiedenen „minimal-invasiven“ Zugängen massive Unterschiede, was die Übersicht und vor allem auch die Schädigung bzw. Durchtrennung von tiefen Muskeln und Sehnen betrifft. Viele dieser Zugänge erfordern die zumindest teilweise Durchtrennung bzw. Einkerbung von Muskeln und Sehnen, was nach der Operation zu bleibenden Beschwerden führen kann. Ein wirklich minimal-invasiver Zugang – wie die AMIS-Technik – sollte alle Muskeln und Nerven komplett schonen und zugleich eine gute Übersicht zur korrekten Implantatpositionierung ermöglichen.“

Barbara Reisen: „Und wie kann sich der Laie eine solche Operation in der Praxis vorstellen?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Wir führen die Operation nach der sogenannten AMIS-Methode durch. Der Hautschnitt ist 8-10cm lang. Die tieferen Schichten und Muskeln werden dann nur stumpf auseinander geschoben, wodurch sämtliche Muskeln und Sehnen geschont werden. Ein großer Vorteil des AMIS-Zugangs ist, dass dieser von vorne erfolgt und die angrenzenden Muskeln allesamt lange Muskeln sind, die gut auseinander gehalten werden können und damit eine gute Übersicht erreicht wird. Die seitlichen und hinteren Zugänge grenzen hingegen allesamt an den kurzen Hüftmuskeln an, die deutlich leichter einreißen. Nach Eröffnung der Hüftkapsel wird der Hüftkopf abgetrennt und die Hüftprothese wird eingebracht. Abschließend vernähen wir die Kapsel als Schutz vor Ausrenkung und die Wunde wird wieder verschlossen.“

Barbara Reisen: „Welche Rolle spielt diese Operationsweise im Hinblick auf einen minimierten Blutverlust und die postoperative Rekonvaleszenz?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Die Operationstechnik hat einen ernormen Einfluss auf die Rekonvaleszenz nach der Operation, auf die Komplikationsrate, aber auch auf die Langzeitergebnisse. Durch die gewebeschonende AMIS-Technik sind Komplikationen wie die Notwendigkeit einer Bluttransfusion oder Ausrenkungen zu einer Rarität geworden. Die Patienten sind nach einer OP schneller wieder selbständig mobil, der Schmerzmittelbedarf ist nachweislich deutlich geringer und chronische Schmerzen, wie sie durch Sehnenschäden entstehen, können vermieden werden.“

Barbara Reisen: „Was bedeutet die moderne gelenkerhaltende Hüftchirurgie für den Patienten?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Die moderne gelenkerhaltende Hüftchirurgie stellt einen wichtigen Baustein in der Behandlung von Hüftgelenkerkrankungen dar. Da der Großteil der Hüftarthrosen eine mechanische Ursache besitzt, z.B. ein Anschlagen bei Bewegung durch knöcherne Anbauten an Hüftkopf und Hüftpfanne, kann eine rechtzeitige gelenkerhaltende Operation die Arthroseentwicklung aufzuhalten. Derartige Operationen können häufig mittels Schlüssellochchirurgie durchgeführt werden. Unsere Spezialisierung auf die Hüftchirurgie und die Behandlung von Hüfterkrankungen ermöglicht es, unseren Patienten je nach Arthrosestadium eine individuell angepasste Therapie anzubieten.“

Barbara Reisen: „Herr Prof, Dr. Gollwitzer, zu guter Letzt noch die Frage: Wie ‚sicher‘ ist so eine Hüftoperation heutzutage?“

Prof. Dr. Gollwitzer: „Jede Operation bringt Risiken mit sich. Durch eine entsprechende Spezialisierung und Routine des Operateurs kann die Komplikationsrate jedoch deutlich minimiert werden. Die Hüftgelenksarthroskopie stellt ein recht sicheres Verfahren dar, mit einer Komplikationsrate von weniger als 5%, wobei die Rate schwerwiegende Komplikationen deutlich unter 1% liegt. Auch in der Hüftendoprothetik liegt der Anteil zufriedener Patienten bei ca. 95%. Der Hüftgelenkersatz wurde aufgrund dieser hohen Erfolgsrate zur erfolgreichsten Operation des vergangenen Jahrhunderts gekürt.“

Original-Interview in volle Länge: http://www.barbara-reisen.de/blog/das-kuenstliche-hueftgelenk/

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